Star-Dirigent von Putins Gnaden: So irritierend war das Konzert von Teodor Currentzis in Hamburg (stern+)

Seit Jahren hat sich Dirigent Teodor Currentzis immer abhängiger von Putin gemacht. Sein legendäres Ensemble „musicAeterna“ ist inzwischen kompromittiert. Nun versucht er einen Neustart mit dem neu gegründeten Orchester „Utopia“. Ein irritierender Konzertabend in Hamburg.

Crescendo jetzt. Eine gewaltige Klangwoge baut sich in der Hamburger Laeiszhalle auf. Das ganze Konzerthaus vibriert. Die Musiker geben alles. Über hundert handverlesene Virtuosen aus 28 unterschiedlichen Ländern holen alles aus ihren Instrumenten heraus. Es ist ein einziges Delirium.

Und mittendrin der Maestro höchstselbst: Slim-Cut-Anzug, weißes Hemd, Krawatte. Seine Manschetten lugen in vorschriftsmäßiger Breite unterm Jackett-Ärmel hervor. Hin und wieder blitzt sein Ohrring auf. Der Maestro zuckt und bebt und federt. Er ist in Top-Form. Er ist das elektrisierende Kraftzentrum dieser überwältigenden Klangwoge. Seine Musiker hat er zusammen geschmolzen zu einem so dichten Klangkörper, dass nicht ein einziges Blatt von Igor Strawinskys „Feuervogel“-Partitur zwischen die Orchestermitglieder passt.

In der altehrwürdigen Konzerthalle tost und brandet es hin und her. Für einen Moment fürchtet man, dass gleich ein Brocken von dem goldlegierten Deckenstuck in einen der Tuba-Trichter fällt. Passiert aber nicht. Kein einziger Missklang ist hier zu vernehmen. Im Gegenteil: Der Klang-Orkan ist um so mitreißender, als er von gespenstischer Präzision ist. Und je mehr das Tosen anschwillt, desto beseelter strahlt der Maestro.

Kung-Fu-Schlag in die Klangwand

Schwerer und schwerer atmet die Dame auf dem Nebensitz. Hektisch fächelt sie sich mit dem Programmheft Frischluft zu, die es hier nicht gibt. Plötzlich springt der Maestro in die Höhe, hackt mit einer zackigen Kung-Fu-Geste in die kompakte Klangwand, und dann ist Stille. Absolute Ruhe.

Nein, doch nicht! Da! Kaum vernehmbare, feine Klangfäden spinnen sich nun wie von selbst aus der Stille heraus. Nein! Sieh nur: Es ist der eben noch so furiose Maestro, der nun mit fein gespreizten Fingerspitzen eine hauchdünne Melodie Ton für Ton aus seinem Orchester förmlich herauszuziehen scheint.

Dies hier ist die reinste Zauberkunst. Man sitzt in der schönen, alten Hamburger Konzertschachtel wie in einem kostbaren Schmuckkästchen für gepuderte Pfeffersäcke, und alles ist kultiviert und enthusiastisch und herrlich. Der Maestro lässt Strawinskys „Feuervogel“ höher und höher fliegen, schillernd und funkelnd schwebt das Wundertier dahin, ein Wappenvogel für alles Schöne, Wahre und Gute. Für einen Moment ist es, als gäbe es keine Welt dort draußen. Keine Energiekrise, keine Inflation, keinen Krieg.

Gibt es aber. Und genau das ist das Problem.

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