Schuld & Kühne: Neue Oper für Hamburg in der Hafencity
Der Multimilliardär Klaus-Michael Kühne schenkt der Stadt Hamburg eine Oper. Zwar hat die Stadt schon eine Oper am Gänsemarkt, aber da liegen Wollmäuse hinter der Heizung, deswegen muss eine neue her. Deutschlands reichster Mann hat sich bereit erklärt, 330 Millionen Euro in die Hand zu nehmen und einen neuen architektonischen Leuchtturm ans Elbufer zu setzen. Sollte es teurer werden, kein Problem, dann legt er eben noch einmal ein paar Millionen drauf. Wofür soll der ganze Schotter schließlich gut sein, wenn nicht zu effektvollem Prassen.
Vielleicht war Kühne auch einfach neidisch auf den dänischen Reeder Maersk McKinney Moeller, der als Greis seiner Heimatstadt Kopenhagen ein Opernhaus für 335 Millionen Euro schenkte. Was der kann, kann ich schon lange! Schließlich wird man auch nicht jünger, und mit 87 Jahren muss man auch mal langsam an ein angemessenes Grabmal denken. Im Angesicht des Todes bekommen all diese steueroptimierenden Herren der sieben Weltmeere offensichtlich langsam ein schlechtes Gewissen.
Konzerthausinflation
Nach langen Verhandlungen ist sich der Logistik-Milliardär mit Bürgermeister Peter Tschentscher und Kultursenator Carsten Brosda, beide SPD, einig geworden. Die Abmachung sieht vor, dass die Stadt Hamburg für das Bauwerk das Grundstück in der Hafencity stiftet und zusätzlich noch 147,5 Millionen Euro für die Herrichtung des Bauplatzes zur Verfügung stellt. Die neue Oper soll auf dem Baakenhöft errichtet werden, einer Landzunge, die ganz in der Nähe der Elbphilharmonie effektvoll in die Elbe ragt. Mit sicherem Investorenauge hat Kühne das wohl spektakulärste Grundstück der Hansestadt identifiziert.
Nun ist der Jubel groß. Die Stadtmarketing-Experten haben schon ihre Phrasendrescher angeworfen, die nun fleißig Worthülse um Worthülse in die klare Hamburger Februarluft pusten. Fazit: Die großzügige Mäzenatengeste ist angeblich ein wertvoller Beitrag zum Kulturleben. Aber was ist das eigentlich: Kultur?
Nun, vielleicht so etwas: Ein gewachsenes Sozialgeflecht, in dem Menschen sich untereinander über kreative Produktionen austauschen und dabei selbst schöpferisch tätig werden. In diesem kreativen Austausch verständigt sich eine Gesellschaft über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. So sucht sie ihren Platz in der Welt. Genau dafür wurde Kunst schließlich erfunden, als der erste prähistorische Schamane einen zotteligen Löwenschwanz in einen Bisonschädel voller Mammutblut tunkte und die ersten Graffiti an die Wand seines Höhlen-Ateliers pinselte.
Im Banne des Krempelverschickungsexperten
Erstaunlicherweise scheint dem Hamburger Senat bei all den langwierigen Verhandlungen mit dem Krempelverschickungsexperten Kühne entgangen zu sein, dass sich exakt an dem Ort, wo die neue Oper entstehen soll, schon jetzt eine überaus produktive, selten interessante und überaus authentische Kulturstätte befindet. An diesem besonderen Ort im Hafen finden schon seit Jahren kreative Auseinandersetzungen mit Gesellschaft, Ort und Geschichte statt.
Das alles ist hier auch wirklich dringend nötig. Denn das Baakenhöft ist historisch hoch kontaminiertes Gelände. Kühnes Bauwerk soll exakt an der Stelle errichtet werden, wo heute noch der riesige Kakaospeicher "Schuppen 29" des ehemaligen Afrika-Terminals steht. Der koloniale Warenumschlagplatz war noch bis 2014 in Betrieb. Bis heute ist der Kakaoanbau in Westafrika von postkolonialen Strukturen geprägt. Die Europäer machen mit dem "braunen Gold" sehr viel Geld. Doch bei den Bauern vor Ort kommt davon nicht viel an.
All radical seafarers welcome!
Der alte Kakaospeicher ist der letzte unsanierte Speicherschuppen der Hafencity überhaupt – und allein schon deswegen überaus wertvoll. In den letzten Jahren hat er sich zu einem magischen Kulturort entwickelt. Im Jahre 2017 zum Beispiel nutzte die "Kulturfabrik" Kampnagel, eines der innovativsten Kunstlabore der Hansestadt, das Gelände für eine Veranstaltung mit dem Namen "Free Port Baakenhöft".
Damals priesen die Künstler ihr Projekt mit den folgenden Worten an: "Auf dem Gelände zwischen HafenCity Universität und dem Liegeplatz der MS Stubnitz erstreckt sich der Baakenhafen. Im 19. Jahrhundert war er die zentrale Dockingstation des deutschen Kolonialismus, ab 1900 legten hier die Schiffe der Deutschen Ost-Afrika Linie an. Heute ist das Baakenhöft der letzte Teil der HafenCity, der noch nicht vollständig verkauft und verplant ist. Zwischen Fiktion und Realität lädt der FREE PORT BAAKENHÖFT dazu ein, die Chance zu ergreifen und jenseits menschenleerer Sicherheitszonen, Kreuzfahrtterminals und Interessengebieten globaler Konzerne einen 'Free Port of the Many' zu schaffen. All radical seafarers welcome!"
Schatzkammer für Kolonialbeute
Spaziert man nun an einem kalten Februar-Samstag über das Gelände, erlebt man den Zauber eines vor finsterer Geschichte und düsterer Poesie bebenden Ortes. Das hier ist das Machu Picchu des deutschen Kolonialhandels. Auf der letzten Freifläche des ehemaligen Afrika-Terminals verfallen langsam die Spuren ausbeuterischen Warenverkehrs. Der imposante Bau erstreckt sich über eine Fläche von 9000 Quadratmetern. An der Südseite zur Elbe hin öffnen sich riesige Luken, die im unteren Bereich noch durch massive Fluttore gesichert sind. So wurde die kostbare Kolonial-Beute vor Hochwasser geschützt.
Die Natur übernimmt
Von den hohen Wänden baumeln hier und dort massive Schalteinheiten an dicken Elektrokabeln und schaukeln im eisigen Wind. Es scheint, als bitte der alte Speicher darum, seine riesigen Ladetore mit einem Knopfdruck in die Höhe fahren zu lassen. Zwischen Ritzen und Spalten des eindrucksvollen Welthandel-Denkmals sucht sich die Natur ihren Weg. Am Ende eines Bahngleises verrottet ein alter Prellbock. Durch seine morschen Balkenverstrebungen wächst ein knorriger Holunder-Strauch in die Höhe. Überall brechen Beton und Asphalt auf.
Am Rande einer Parkfläche liegen grob behauene Marmorskulpturen – als wäre dies hier die Ausgrabungsstätte eines antiken Theaters. An den Kaianlagen, dort, wo damals die Afrika-Fahrer festmachten, recken sich die verrottenden Duckdalben meterhoch in den blauen Winterhimmel wie mahnende Zeigefinger.

Die Kaimauern bröckeln in die Elbe. Meterhoher Riesen-Bärenklau bildet einen kleinen Urwald, in dem es Geheimpfade gibt, die zu rätselhaften Lagerplätzen für aufgestapelte Betonplatten führen.

Waldreben mit leuchtend-wolligen Samenständen wuchern über Brombeerranken. Der koloniale Warenumschlagplatz und das verwilderte Areal wirken wie eine geheimnisvolle Tempelanlage, wo vor gar noch nicht allzu langer Zeit einem grausamen Gott gehuldigt wurde.
"Und dieses einzigartige Denkmal schuldbeladener Handelskultur wollt Ihr einfach so hergeben?", möchte man dem Hamburger Senat fassungslos entgegenrufen. Versiegeln, verkapseln, vernichten? Versteht Ihr nicht, dass solch ein alter Hafenschuppen architektonisch interessanter ist als Eure gesamte geistlose Hafencity? Verlasst Ihr eigentlich auch mal Eure Amtsstuben, um woanders hinzugehen als ans Champagnerbuffet der Elbphilharmonie? Könnt Ihr Euch überhaupt noch eine Kultur jenseits des internationalen Drei-Tenöre-Verschickungsdienstes vorstellen?

Die offenkundige Kulturferne der hanseatischen Opern-Dealer gesellt sich zu ihrer beschämenden Geschichtslosigkeit. Denn der ehemalige Kakaospeicher war nicht nur ein Lager für die Schätze kolonialer Ausbeute. Sondern von den umliegenden Kaianlagen ging auch ganz konkrete Militärgewalt aus, mit der die deutsche Kolonialwirtschaft abgesichert wurde.
So wurden aus dem Baakenhafen Tausende von Soldaten nach Afrika verschifft, um dort koloniale Expansionspolitik voranzutreiben. Aus dem umliegenden Areal zogen eben jene deutschen Soldaten los, die den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts begehen sollten: den Genozid an den Ovaherero und Nama. Diese Verbrechen lieferten eine Art Blaupause für den Holocaust. Damals wurde das Wort "Konzentrationslager" erfunden.
Der alte Kakaospeicher ist eingebunden in ein engmaschiges semantisches Netzwerk von Handel und Verbrechen. Er ist sprechendes Symbol für das komplexe Räderwerk der Kolonialverbrechen im Welthandelshafen Hamburg. Solche wertvollen Erinnerungsorte verbaut man nicht, sondern bewahrt sie als Mahnmal für kommende Generationen!
Es ist geradezu unglaublich, dass nun der einzige authentische Ort, an dem den schrecklichen und komplexen Verflechtungen der deutschen Kolonialgeschichte überhaupt noch nachgespürt werden kann, mit einer Vergnügungsfläche überbaut werden soll. Noch fassungsloser aber macht es, dass für diese Überschreibung der Geschichte nun ausgerechnet ein Milliardär bezahlt, der dafür berüchtigt ist, sich niemals ernsthaft seiner historischen Verantwortung gestellt zu haben.
Dabei gäbe es einiges aufzuarbeiten: Historiker haben gezeigt, dass Kühnes Vater Alfred und dessen Bruder Werner gleich mehrfach von der Politik der Nationalsozialisten profitiert haben. Beide traten schon 1933 in die NSDAP ein. Sie wurden nur deshalb alleinige Eigentümer ihrer Firma, weil sich ihr jüdischer Miteigner Adolf Maass wegen der rassistischen Wahnvorstellungen der Nationalsozialisten aus dem Unternehmen zurückziehen musste. Manche schreiben gar, die beiden Kühne-Brüder hätten ihren jüdischen Teilhaber aus dem Unternehmen gedrängt. Adolf Maass wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und später in Auschwitz ermordet.
Die Historiker Claus Leggewie und Christian Kleinschmidt haben gezeigt, wie die Speditionsunternehmer Kühne unter der nationalsozialistischen Herrschaft dann ihr Vermögen mit dem Abtransport von Möbeln mehrten, die Juden zurücklassen mussten, als sie in die Vernichtungslager der Nazis verschleppt wurden. Kühne + Nagel wurde als "Nationalsozialistischer Musterbetrieb" ausgezeichnet.
Wie sagte der französische Schriftsteller Honoré de Balzac? "Hinter jedem größeren Vermögen steht ein Verbrechen." In dem unsäglichen Hamburger Opernprojekt laufen gleich mehrere furchtbare Logistik-Unternehmungen der deutschen Geschichte zusammen: Raubgutverschickungen, Militärexpeditionen und Kolonialwarenhandel.
Kühne verhindert bis heute die Aufarbeitung der Unternehmensverantwortung, indem er ein historisches Gutachten zurückhält, das er selbst in Auftrag gegeben hatte, um eben diese Schuld aufzuarbeiten.
Es ist geradezu grotesk: Vom alten Kakaospeicher aus kann man im Osten sehr gut die stagnierende Baustelle des Elbtowers sehen, in den Kühne seine Millionen zusammen mit dem österreichischen Pleitier René Benko gesteckt hat. Ursprünglich wollte Kühne den Neubau der Oper im Baakenhafen übrigens mit einem für ihn überaus lukrativen Immobiliendeal kombinieren: Der Logistik-Milliardär hatte geplant, die Staatsoper am Gänsemarkt abreißen zu lassen, um dort zusammen mit René Benko eine Luxus-Immobilie zu errichten.
Die neue Oper am Baakenhöft sollte die Nachbarschaft des Elbtowers aufwerten, an dem Kühne natürlich ebenfalls beteiligt ist. Der Stadt war dieses spekulative Immobilien-Karussell dann wohl doch zu schwindelerregend. Sie lehnte den Tausch "Alte-gegen-neue-Oper" ab. Aber man darf diesen ursprünglichen Plan nicht vergessen. Denn die neue Hamburger Oper war niemals als selbstloses Geschenk an die Stadt gedacht, sondern von Anfang an als hochprofitable Immobilienveredelung für die Herren Kühne und Benko. Kultur zählt hier nur als Wertsteigerungsstrategie fürs eigene Portfolio. Solche Männer betrachten die Stadt als Beute, um den Titel eines Theaterstückes von René Pollesch zu zitieren.
Die Investitionsruine des Elbtowers ragt heute in den Himmel wie ein Mahnmal perverser Immobilienspekulationen. Doch die Party der größenwahnsinnigen Monopoly-Architektur darf offensichtlich niemals enden. Dafür spendiert der Hamburger Senat nun eine der letzten Flächen in der Hafencity, die noch unsere Phantasie zu beflügeln vermag – alles andere in dieser Gegend ist schon lange versiegelt mit geisttötender Playmobil-Architektur.
An die Stelle des aussagekräftigen Erinnerungsortes "Schuppen 29" tritt nun ein geschichtsvergessenes, ressourcenverschwendendes Hirngespinst aus elitärem Renommiergehabe. Der glitzernde Pharaonen-Bau, der hier geplant ist, wird das exakte Gegenteil wirklich gewachsener Kultur sein. Das Kulturverständnis, das aus diesem Unfug spricht, wäre vielleicht noch einer aristokratisch organisierten Ständegesellschaft würdig, aber ganz sicher nicht einer Demokratie. Die Zeiten der Medici sind zum Glück vorbei.
An einem Ort, wo früher Kolonialbeute gelagert und verteilt wurde, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft sich Soldaten zum ersten Völkermord deutscher Geschichte aufmachten, werden bald Anwälte, Zahnarztwitwen und Immobilienmakler bei Fingerfood und Chardonnay ihre neuesten Brioni- und Chanel-Klamotten spazieren führen.
Und das alles zum Ruhme eines Mannes, der schon vor Jahrzehnten seinen Firmensitz in die Schweiz verlegt hat, um vor der deutschen Steuerpflicht zu fliehen. Und der nun sein steueroptimiertes Vermögen dazu nutzt, vergessen zu machen, auf welch schrecklichen Fundamenten sein Reichtum ruht.
Der Staat spielt bei diesem geschichtsauslöschenden Projekt eine besonders unwürdige Rolle: Denn nachdem er um seine Steuermilliarden gebracht wurde, hilft er nun großzügig bei dieser überaus fragwürdigen Imagekampagne. Der Bau dieser Oper wirkt wie ein diabolischer Pakt zweier Verantwortungsloser, die mit schuldbeladenem Geld partout ein Glanzprojekt realisieren wollen, das die fragwürdige Herkunft ihres Reichtums verwischen soll. Der eine sagt: "Hilf mir beim Übertünchen meiner Kolonialverbrechen." Der andere antwortet: "Kein Problem. Wenn du mir dabei hilfst, dass ich als Mäzen in Erinnerung bleibe und nicht als geschichtsvergessener Erbe von Problemmilliarden."
Der Bau der Kühne-Oper am alten Kakaospeicher im Baakenhöft ist ein zutiefst revisionistisches Projekt. Man sollte es verhindern. Denn es gibt inzwischen genügend Kräfte, die schuldbeladene Geschichte zu einem bloßen "Vogelschiss" verkommen lassen wollen.