Faschisten im Hamburger Rathaus (stern+)

Faschisten im Hamburger Rathaus (stern+)
Proteste vor der Hamburger AfD-Zentrale

Ulrich Vosgerau, CDU- und "Werteunion"-Mitglied, wollte endlich die Wahrheit erzählen über das AfD-Geheimtreffen in Potsdam und die rassistischen Vertreibungspläne. Auf Einladung der Hamburger AfD kamen 500 Gäste ins Rathaus

Die linke Szene hatte dazu aufgerufen, das Hamburger Rathaus zu blockieren. Und meine Frau und meine Tochter beide wieder ganz vorne mit dabei. War ja klar. Sie wollten diese Veranstaltung verhindern. Aufgepeitscht von linken Ideologen, schlimmer noch: Ideolog:Innen!

Ich aber wollte rein. In der Stadt hingen überall AfD-Plakate, die mit folgenden Worten ins altehrwürdige Rathaus luden: "Fraktion im Dialog. Was passierte in Potsdam wirklich? Ein Teilnehmer berichtet!"

Ich wollte endlich die ganze Wahrheit wissen. Mal ganz unvoreingenommen. Mal alle Schlafschafigkeit des pfründehortenden Systemjournalisten ablegen und nur den Fakten lauschen. Nichts als die Wahrheit, die wahre Wahrheit. Was war wirklich passiert letzten November in Potsdam? Hatten dort wirklich Rechtsextreme, AfD- und CDU-Mitglieder zusammen mit reichen Unternehmern bei einem Geheimtreffen Pläne zur Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund geschmiedet? Was war die wahre Geschichte hinter den Enthüllungen, die seit Monaten die Republik in Atem halten und auf die Straße treiben zu Demonstrationen gegen Rassismus und die AfD?

"Viel Spaß beim Blockieren, meine Lieben!"

Also hin! Und wenn Frau und Tochter unbedingt blockieren wollen, muss ich sie eben austricksen. In so was habe ich Übung. In den Geheim-Chats meiner Frau stand, dass ab 18 Uhr die Rathaus-Blockade anstünde. Also sitze ich schon um Punkt 17.45 Uhr im Restaurant "Parlament" im schummrigen Rathauskeller. Paff. Viel Spaß beim Blockieren, meine Lieben!

Phantastisches Verlies hier unten. Über mir wölbt sich eindrucksvoll eine Schmuckdecke, Kronleuchter erblühen über den fein eingedeckten Tischen. Bernsteinfarben und warm pulsiert ein großes Pils vor mir. "Schlürf mich", flüstert es mir zu. Mehrere Spinatknödel warten gut gelaunt darauf, sich umstandslos in mich hineinzuknödeln. In der üppigen Salatbeilage leuchtet sogar eine Blume mit Migrationshintergrund – Jasmin oder Orchidee, egal, sehr lecker jedenfalls.

Ich liebe meinen Job als Systemjournalist. Die Spinatknödel schmecken hervorragend. Sie hätten durchaus die Kraft, Beatrix von Storch ("Ich hab nichts gegen Döner, nur gegen Scharia") zur Vegetarierin zu machen. Von Storch würde wohl gleich auch zur Veranstaltung kommen. Zumindest deuteten alle Anzeichen darauf hin. Denn einen Tag zuvor hatte sie auf Instagram ein Selfie gepostet, das sie mit einer Graugans zusammen vor der Hamburger Binnenalster zeigte. Die Graugans kehrte ihr übrigens das Hinterteil zu.

Die Freuden der Lügenpresse

Die Aussicht auf Frau von Storch macht mir schon etwas Angst. Ich nehme schnell noch einen Schluck Bier und verschwende ein paar Hirnressourcen an Wortspiele über Storch und Graugans, um mich zu beruhigen. Doch bald schon wende ich mich den üblichen Fragen eines Parvenüs der staatsfinanzierten Lügenpresse zu: Wie zum Teufel bekomme ich bloß meine liebe Innenministerin Nancy Faeser dazu, mir Bier und Spinatknödel zu bezahlen? Vielleicht einfach, indem ich nicht schreibe, dass die Ampel mit ihrer rassistischen Migrationspolitik schändlich versucht, in den trüben AfD-Gewässern nach Wahlstimmen zu fischen. Das dürfte reichen für Bier und Knödel.

Endlich geht’s hoch ins feierliche Foyer das Hamburger Rathauses. Die Architektur zeigt, dass sich globalisierter Welthandel und Kolonialismus wirklich lohnen. Wo sonst gibt’s so viel Prunk in dieser Stadt? Ich trete kurz vor die Tür, um Frau und Tochter satt und hämisch zuzuwinken. Die beiden sind aber nicht da. Die Polizei hat einen undurchdringlichen Sicherheitskordon von circa 789 Kilometern Umkreis um das Hamburger Rathaus gezogen, um die Erstürmung dieser knubbeligen Bastille zu verhindern und sicherzustellen, dass ich endlich die Wahrheit erfahre. Aus der Ferne wehen Sprechchor-Fetzen durch die Nacht: "Alerta, alerta, antifascista!" Ich schaue auf die gepanzerten Polizisten und fühle mich sicher. Danke, Innensenator Grote! 

Schließlich geht’s ab in den ersten Stock. Der AfD ist es gelungen, sich das Filetstück in dieser wulstigen Prunk-Festung zu sichern: Den großen Festsaal. Wieder einmal eine PR-Meisterleistung. Respekt. Die Kronleuchter sind hier noch aufgeplusterter als unten im "Parlament". An den Decken das übliche Stuckzeug. Leider weder Bier noch Knödel hier. Nur blödes Wasser am Eingang. Klarer Minuspunkt.

"Nicht vorverurteilen!"

Der Saal füllt sich bis zum letzten Platz. Rechts neben mir nimmt ein Mann Platz, Typ netter Erdkundelehrer. Neben ihm sein Kumpel, der sagt: "Guck dir bloß mal dieses Publikum an!" Der Erdkundelehrer sagt freundlich, aber mit Nachdruck: "Nicht vorverurteilen!" Aha, ein Seelenverwandter! Noch jemand, der genau wie ich gekommen ist, um ganz ohne Vorurteile die wahre Wahrheit zu erfahren.

Auf dem Podium stehen Namensschilder: "Krzysztof Walczak." (Hamburger AfD-Abgeordneter und Jurist) "Dr. Ulrich Vosgerau." (Gastredner, CDU- und "Werteunion"-Mitglied, ebenfalls Jurist) "Dr. Alexander Wolf" (Hamburger AfD-Abgeordneter, auch Jurist), Dirk Nockemann (Fraktionsvorsitzender der Hamburger AfD und natürlich: Jurist).

Ich bin sofort sehr beruhigt. Keine Beatrix von Storch. Nur weiße Männer. Genau wie ich. Mir kann also nix passieren. Außerdem haben all diese gebildeten Männer einen beträchtlichen Teil ihrer kostbaren Lebenszeit darauf verwendet, unsere schönen deutschen Gesetze zu studieren. Wie könnten sie denn da unserer lieben Demokratie gefährlich werden? Sie kennen doch jeden Paragraphen in- und auswendig!

"Bin ich etwa linksradikal?"

Nun betreten die Juristen das Podium und füllen die Namensschilder mit Leben. Es folgen warme Begrüßungsworte, dann wird gegen die Demonstranten draußen gewettert. Es fallen Ausdrücke wie "Linksradikale", "Gewalt" und "fragwürdiges Demokratieverständnis". In mir kommt Unruhe auf: Sind meine Frau und meine Tochter vielleicht Linkradikale? Ich selbst vielleicht auch? Das wäre ja fürchterlich! Da werde ich mich drum kümmern müssen.

Lesen Sie hier den vollständigen Text (paid content):
Wie die AfD in Hamburg versuchte, aus den "Correctiv"-Recherchen einen Medienskandal zu machen (stern+)