Der Flaneur - Newsletter #2 - 03/2025

Liebe Leser:Innen!
Ich freue mich sehr, dass Sie den Newsletter meines Hamburg-Blogs "Der Flaneur" abonniert haben. Wie schön, dass alle Stamm-Abonnent:Innen noch da sind! Ein herzliches Willkommen auch an all die Dazugekommenen. (POV: Du machst gerade ein Praktikum bei der Abo-Abteilung eines altwehrwürdigen Printmediums, das sich irgendwie jetzt auch noch mit diesen komischen neuen Medien beschäftigen muss. Sie machen seit neuestem sogar Newsletter!)
Dies ist nun die zweite Ausgabe. Let's go!

Erregungspotential verpulvert
Ich weiß nicht, wie's Ihnen geht, aber ich habe das Gefühl, dass ich mein diesjähriges Erregungspotential schon fast komplett verpulvert habe. Dabei ist doch erst März!
Erst dieser ekelhafte Bundestagswahlkampf auf dem Rücken von Migrant:Innen. Dann muss man immer noch andauernd irgendwas über Christian Lindner lesen, obwohl der doch jetzt nun endlich weg vom Fenster ist. Können diese Menschen dann nicht einfach lautlos verschwinden? Und dann immer dieser andauernde Trump-Irrsinn, den dann auch noch immerzu irgendwelche dilettierenden Kaffeesatzleser schwadronierend zu interpretieren versuchen. Die nächsten 4 Jahre gibt's nun wohl ununterbrochen auf allen Kanälen internationalen Frühschoppen mit pensionierten NATO-Generälen, die einem irgendwas mit stechendem Blick erklären. Wer soll das aushalten?
Anfang Februar suchte ich also verzweifelt ein bisschen Ablenkung, las mit halbem Gehirn irgendeine Nachricht zu Oper oder so und dachte noch: "Wie schön! Endlich mal was mit Mozart!" Aber schon im ersten Absatz erfuhr ich, dass sich Hamburg nun tatsächlich doch noch vom Milliardär Klaus-Michael Kühne eine neue Oper ans Elbufer bauen lassen wollte. Und zwar mitten auf die Drehscheibe deutscher Kolonialverbrechen – den Baakenhafen.
Schon war mein Ruhepuls wieder auf 180. Konnte das wahr sein? Hamburg nimmt fröhlich 320 Millionen Euro von einem Speditionsfritzen entgegen, der sich seit Jahren weigert, die Nazi-Verstrickungen seines Unternehmens aufzuarbeiten, um dann damit einen Erinnerungsort der Kolonialgeschichte zu überbauen. Man glaubt es nicht.
Hier die ganzen Zusammenhänge:
Um meine hyperventilierende Empörung auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen, habe ich dann noch für den "stern" ein Interview mit dem Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer zu dem Thema geführt. Experteninterviews beruhigen mich meist. Aber dieses Mal war das Gegenteil der Fall.
Denn bald wurde klar, dass Hamburg nicht etwa bloß aus Trotteligkeit mal ein bisschen seine Kolonialverbrechen vergisst, sondern sie ganz bewusst ausblendet. Und wer zu sehr daran rührt, der wird eiskalt abserviert. So geschah es dem Kolonialexperten Zimmerer.
Seit Jahren beschäftigen sich der Historiker und seine Forschungsstelle "Hamburgs (post-)koloniales Erbe" mit der Kolonialgeschichte des Baakenhafens und versuchen zu verhindern, dass der schreckliche Preis für Hamburgs Reichtum als globale Handelsmetropole in Vergessenheit gerät.
Vergoldetes Elbufer
Erst im vergangenen Frühjahr schlug Zimmerers Institut der Stadt die Errichtung eines Dokumentationszentrum über Kolonialismus am geplanten Entstehungsort der neuen Oper vor. Doch nur wenige Monate später beschloss der Senat die Streichung der Fördergelder für Zimmerers Forschungsstelle. Unterdrückt der Hamburger Senat freie Forschung, um sich sein Elbufer vergolden zu lassen? Eine Zusammenfassung von Zimmerers fundierter Einordnung können Sie hier lesen:

Die Wächter der Stadt
Einen Tag vor der Bundestagswahl war ich noch mal eben gegen Rechts demonstrieren. Ich hatte eine kleine Kamera dabei und habe hier & da mal ein Bild gemacht. Ohne mich dabei groß zu bewegen, nur mal hin & wieder irgendwas weggeknipst. Ist ja klar, dass so etwas niemals funktionieren kann. Denn echtes Fotografieren ist Action, Konfrontation, mutiges Heranpirschen. Niemand kann einfach mal so nebenbei ein paar gute Bilder machen. Nicht umsonst sagte Meisterfotograf Robert Capa: “If your pictures aren't good enough, you're not close enough.”
Irgendwann war ich am Jungfernstieg angekommen. Müde trottete ich neben irgendwelchen Wagen her. Im Schatten von Apple-Store, Alster-Haus und Juwelier Bucherer sah alles einfach nur langweilig aus. Dann tat sich links die Große Bleichen auf. Die tief stehende Abendsonne fiel durch die lange Schneise der vornehmen Einkaufsstraße und leuchtete den Demo-Zug in herrlichsten Farben aus. Sofort war ich hellwach, lief vor den nächsten Wagen und machte ein Foto. Es wurde das einzige brauchbare Bild an diesem Nachmittag.
Das Foto ließ mich nicht mehr los. Aber ich wusste einfach nicht, was ich damit machen sollte. Bis mir eine Art beschwörender Refrain einfiel, der zusammenfasste, was ich bei dem Bild empfand: "Die Wächter der Stadt, wie ich sie verstehe..."
Was mir die Abendsonne sagen wollte
Es dauerte noch ein bisschen, bis ich verstand, was mir dieser Refrain eigentlich sagen wollte. Dann kapierte ich: Diese Menschen auf dem Bild, die Frau am Steuer des Traktors, die Männer an der Kordel, das waren die Wächter der Stadt, wie sie mir gefällt. So lange sie hier alles unter Kontrolle haben, kann nichts passieren. Das war es, was die Abendsonne aus den grauen Schatten herauspräpariert hatte.
Ich schrieb einige Zeilen über diese Wächter und nannte das ganze "Foto-Fantasy." Hier ist sie:
Ich habe keine Ahnung, was genau das für ein Text sein soll. Aber immer, wenn mir etwas in oder an dieser Stadt besonders gefällt, werde ich diesen Text ergänzen. Er soll langsam wachsen.
Begrabt mein Herz in Hammerbrook
Gestern war ich an einem meiner Lieblingsplätze in der Stadt – der gemeinschaftlich gestalteten Fläche Alster-Bille-Elbe PARKS auf einem alten Recyclinghof in Hammerbrook. Dort entstand wieder ein kleiner Absatz über die Wächter der Stadt. Hier ist er:
"Die Wächter der Stadt, wie ich sie verstehe, nehmen ihren Winkelschleifer und schneiden große Rechtecke in die Asphaltdecke eines ehemaligen Recyclinghofes. Die entsiegelten Flächen füllen sie mit Mutterboden auf und stecken lange Bohnen- und Bambusstangen hinein, deren Spitzen sie an stabilen Drähten befestigen, die in großer Höhe quer über den alten Schrottplatz verlaufen.
Die Wächter der Stadt, wie ich sie verstehe, lassen im Frühjahr Hopfen hinauf zu den Drähten ranken. Im Sommer trinken sie Hopfentee und Bier auf der Dachterrasse einer uneinnehmbaren Festung aus verbeulten Übersee-Containern. Und im Winter lauschen sie dem Rascheln des vertrockneten Hopfens im Wind und dem Singen der Metalldrähte."

Flanier-Termine im März
Hier kommen die Veranstaltungen, die ich mir für die kommenden Wochen notiert habe. Vielleicht schreibe ich über die eine oder andere. Und vielleicht treffen wir uns ja bei einem der Termine da draußen. Würde mich sehr freuen!
- 21.02. – 07.03.25
Gleishalle Oberhafen, Ausstellung Projekte "Was braucht der Oberhafen?" - 03. – 06.03.25
Hamburger Graphic-Novel-Tage
Literaturhaus - 07.03.25, 18-22 Uhr
Vernissage Julia Morghano
Fabrik der Künste, Kreuzbrook 12
Warum hier viele Worte machen? Ist Kunst. Sieht gut aus. Kann man mal hin und sich angucken. Außerdem interessanter Ort abseits. - 08.03.25, 20:00 Uhr
Lia Sahin meets F*mz
Knust
"Ich scheiß auf Schwanz-Rap." - 14.03.25, 20:00 Uhr
Masters of Shaolin Kung Fu
Friedrich-Ebert-Halle, Hamburg Harburg
Ich habe jahrelang Kung Fu gemacht. Geschichte dazu hier (SZ, 24.02.2003):
Heute muss ich einen Gang runterschalten und mache Tai Chi, was ja nichts anderes ist als Kung Fu in Zeitlupe. Für mich war Kampfkunst immer eine Art Meditation. Wenn man eine Kung Fu - oder Tai Chi-Form läuft, sind spätestens nach 5 Bewegungen alle Gedanken aus dem Kopf. Muskeln, Sehnen und Gelenke übernehmen. Das ist so etwas wie ein Selbstreinigungsprogramm für Körper & Geist. Wie das allerdings mit einer Show in einer Stadt-Halle zusammenpassen soll, bleibt mir ein Rätsel. Aber vielleicht muss ich da einfach mal hin. Oder ich schaue einfach noch mal "Kung Fu Panda". Viel besser!
- 19.03.25, 19:30 Uhr |
Roberto Saviano stellt sein neues Buch "Treue" über die Rolle der Frauen in der Mafia vor
Magazin Filmkunsttheater - 25.03.25, 20:00 Uhr
Buchpremiere: Ella Carina Werner / Juliane Pieper: "Der Hahn erläutert unentwegt der Henne, wie man Eier legt. Feministische Tiergedichte"
Nachtasyl - 28.03.25, 20:00 Uhr
Uraufführung: "Ein Sommer in Niendorf"
von Heinz Strunk
Regie: Studio Braun
Deutsches Schauspielhaus - 31.03.25
Verleihung des Hubert-Fichte-Preises an Mirko Bonné in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg während eines Senatsempfangs. Dieser beinhaltet auch eine Führung durch die Ausstellung „Happy Birthday Hubert Fichte!“, die am 21. März im Ausstellungraum der Staats- und Universitätsbibliothek eröffnet wird.
Ich habe mir mal in einem Text versucht einzureden, dass ich ja eigentlich gar keine Literaturpreise will. Aber ganz ehrlich: Welcher Hamburger Flaneur hätte nicht gern den Hubert-Fichte-Preis? Dies ist mein unaufrichtiger Rant gegen Literaturförderung (SZ, 18.02.2004):
Schluss & Gruß
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Ich wünsche Ihnen einen schönen März! Sie hören dann wieder von mir im April!
Herzliche Grüße
Stephan Maus