Schauspielerin Lina Beckmann im Interview (stern+)
Die Schauspielerin Lina Beckmann fegt über die Theaterbühne wie eine Naturgewalt. Zuletzt schaute ihr Olaf Scholz zu. Bei einigen Sätzen der Tragödie hat sie an ihn gedacht.
Sie hat gerade einen Kraftakt hingelegt. Stand 90 Minuten ganz allein auf der riesigen Bühne des Hamburger Schauspielhauses. Hat alle Rollen des Stückes selbst gespielt. Hat wie immer alle Register gezogen: von meisterhafter Comedy bis hin zu herzzerreißender Tragik. Lina Beckmann kann einfach alles. Das zeigt sie auch in dieser sagenhaften Tragödie.
In "Laios" erzählt Autor Roland Schimmelpfennig die Geschichte von Ödipus‘ Vater: Was ist das eigentlich für ein Mann, der sein eigenes Kind aussetzt, weil ihm ein geflügeltes Katzenwesen prophezeit hat, dass der Kleine ihn eines Tages umbringen und seine eigene Mutter zur Gattin nehmen wird?
"Laios" ist Teil des gigantischen Theaterzyklus‘ "Anthropolis. Ungeheuer. Stadt. Theben", den Regisseurin Karin Beier am Deutschen Schauspielhaus Hamburg inszeniert hat. Die Reihe umfasst insgesamt fünf Teile, die den Aufstieg und Fall der antiken Stadt Theben nachzeichnen. Das Projekt ist schon jetzt legendär. Mit dieser Produktion wurde das Hamburger Schauspielhaus "Theater des Jahres". "Laios" wurde als "Stück des Jahres" ausgezeichnet und Lina Beckmann als "Schauspielerin des Jahres". Hamburger Hattrick.
An ausgewählten Terminen werden alle fünf Teile hintereinander gespielt. So auch an diesem Wochenende. Eine Besonderheit gab es dieses Mal: Beim letzten Theater-Marathon saß Olaf Scholz mit seiner Frau im Publikum und schaute sich den gesamten Antiken-Zyklus an. Neun Stunden Tragödien, eingekeilt im Kanzlerterminplan zwischen Pistorius-Putsch und Bundestagswahlkampf; neun Stunden antiker Intensivkurs über Risiken und Nebenwirkungen von knallharter Machtpolitik.
Ich durfte Meisterschauspielerin Lina Beckmann gleich nach dem Schlussapplaus in ihrer Garderobe sprechen. Vorher wollte sie nur noch eben duschen. Nun sitzt sie an einem wackeligen Tisch vor einem Spiegel. Langsam fällt alle Anspannung von ihr ab. Sie sieht glücklich aus.
Wie fühlen Sie sich nach einem solchen Parforceritt?
Wenn ich es hinter mir habe, ist es wunderschön. Aber davor bin ich sehr angespannt.
Wir haben Sie vor dem Stück vorn am Bühneneingang getroffen. Sie wirkten wie in einem Tunnel.
Es ist schwer, bei "Laios" das Prozedere ganz alleine zu durchleben: Alleine hier im Flur zu sein, mich alleine umziehen, alleine auf die Bühne gehen, alleine ein Stück anfangen. Das fällt mir irre schwer. Die einzigen Partner, die ich habe, sind die Zuschauer. Und die sind manchmal so und manchmal so. Und dementsprechend ist es manchmal leichter und manchmal schwieriger.
Ihr Solo-Stück "Laios" ist eingebettet in einen großen Zyklus von fünf Stücken, die auf antiken Stoffen basieren. Um was geht es da eigentlich genau?
Für mich geht es vor allem darum, wie wir Menschen miteinander umgehen. Und darum, wie Macht den Menschen verändert. Darum, wie wir uns selber ins größte Elend hineinkatapultieren, weil wir eben Menschen sind. Jedes Stück endet in einem Desaster. Weil wir uns durch das Streben nach Macht in Monster verwandeln können, anstatt klug und großherzig miteinander umzugehen.
Der Zyklus handelt von Aufstieg und Fall der antiken Stadt Theben. Der Ort scheint wie verflucht. Es gibt dort nirgendwo ein Fitzelchen Glück. Wer ist eigentlich schuld an all dem Unglück?
Das Verflixte bei den Stücken "Laios" und "Ödipus" ist ja, dass man die Schuldfrage nicht beantworten kann. Denn es gibt diese Prophezeiung, die über allen hängt. Das ist Schicksal.
Das verdammte Schicksal einer jeden griechischen Tragödie.
Ja, Schicksal … Aber Laios und Iokaste haben auch nicht versucht, den kleinen Ödipus nicht auszusetzen. Sie haben nicht ein einziges Mal gesagt: "Das Kind ist unser Kind, und es gehört zu uns und hierher."
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Lina Beckmann im Interview: "Volle Möhre im Moment sein" (stern+)