Problembaustelle Elbtower: Plädoyer für eine radikale Architekturwende (stern)

Problembaustelle Elbtower: Plädoyer für eine radikale Architekturwende (stern)
Elbtower: Ein Pflock aus Stahlbeton, den ein irrer Troll ins wilde Herz der Stadt gerammt hat

Elbtower-Investor Klaus-Michael Kühne fürchtet, dass der Hamburger Elbtower Ruine bleibt. Dieses Gebäude ist ein Skandal. Plädoyer für eine radikale Architekturwende.

Hamburgs Lieblingsmilliardär Klaus-Michael Kühne hat wieder einmal einen Einblick ins düstere Herz der Immobilienspekulation gegeben: Jüngst hat er seine Befürchtung zum Ausdruck gebracht, der genialische Elbtower würde wahrscheinlich niemals fertig, denn es fehlten noch 300 von 400 benötigten Millionen. Er selbst wolle auf keinen Fall mehr als 100 Millionen in die Investitionsruine stecken. Außerdem fehlten Mieter.

Wir lernen: Der megalomane Renommierbau des britischen Star-Architekten David Chipperfield, den Olaf Scholz, damals noch Hamburger Bürgermeister, begeistert durchgewunken hat, damit er allen via Elbbrücken einreisenden Besuchern sofort und unmissverständlich vom akuten Größenwahn der Hansestadt künde, hat weder eine solide Finanzierung noch ausreichend Mieter. Es gibt also schlicht keinen Bedarf für den babylonischen Turm.

Man könnte glatt meinen, das Gebäude (im Volksmund: "kurzer Olaf") sei vollkommen nutzlos, ohne jeden Sinn und Zweck – außer dem, all das zu sein, was Olaf Scholz nicht ist: riesengroß, beeindruckend und warm in der tief stehenden Abendsonne schimmernd.

Stadtpolitik mit Abrissbirne

Kühne befürchtet nun, dass die Stadt den Turm in zwei Jahren einfach abreißen lassen könnte. Diese Möglichkeit hat sich Hamburg sogar vertraglich zusichern lassen und ist nun auch besonders stolz auf diesen gewieften Verhandlungsschachzug: Allheilmittel Abrissbirne.

Im Hintergrund wird jetzt eifrig überlegt, ob nicht ein neu zu gründendes Naturkunde-Museum des Leibnitz-Instituts als "Ankermieter" im Erdgeschoss die Existenz des sinnlosen Quatschbaus sichern könnte. Das wäre eine wahrlich frohe Botschaft an alle Pleitiers und ihre spekulierenden Geschäftspartner. Sie lautete: "Zockt nur weiter. Und wenn Ihr's in den Sand setzt, kein Problem. Denn am Ende steht die Stadt mit ihren Steuergeldern für alles gerade."

300.000 Tonnen Beton

Die Baustelle ruht seit Oktober 2023. Der Elbtower ist heute 100 Meter hoch. Eines Tages soll er 245 Meter hoch werden. Um das Gebäude am Ufer der Norderelbe zu errichten, wurden bislang schon 118.000 Kubikmeter Beton verbaut (etwa 300.000 Tonnen), 27.000 Tonnen Betonstahl für die Bewehrung und alleine 44 Kilometer Spannstahllitzen. Insgesamt hat der Bau bis heute schon etwa 400 Millionen Euro verschlungen.

Sollte der Turm nun tatsächlich abgerissen werden, wäre das nicht nur ein haarsträubendes Fallbeispiel für die himmelschreiende Plan- und Sinnlosigkeit zeitgenössischer Renommierarchitektur, sondern auch eine monströse Umweltkatastrophe. Was für eine Ressourcen- und Materialverschwendung! Eine wahre Turm-Havarie.

Das Hamburger Elbtower-Desaster muss zu einem radikalen Umdenken in der Architektur führen. In Zukunft wäre es mehr als wünschenswert, dass Städte ihre Grundstücke und Baugenehmigungen nur noch an solche Projekte vergeben, die folgendes Kriterium erfüllen: Gebäude müssen eine kluge Antwort auf ein gesellschaftliches Bedürfnis sein, keine sinnfreien Spekulationsobjekte, die ausschließlich aus Prestigegründen in die Welt gestellt werden.

Doch damit nicht genug. Vielleicht bedarf es eines noch viel radikaleren Umdenkens. Vielleicht sollte man für eine gewisse Zeit einfach gar keine Neubauten auf freien Flächen mehr genehmigen. Sondern nur noch Projekte, die schon vorhandene Gebäudestrukturen nutzen: leerstehende Bürotürme, Spekulationsruinen wie den Elbtower oder leere Gewerbehallen wie das geschichtsträchtige Überseezentrum, das erst kürzlich in Hamburg abgerissen wurde (noch so eine stadtplanerische Sünde!).

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Neubauten? Einfach mal verbieten (stern)

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