Die Wächter der Stadt
Die Wächter der Stadt, wie ich sie verstehe, haben schweres Gerät. Sie kommen in friedlicher Absicht. Aber die Stadt ist für sie nicht nur eine Postleitzahl, sondern eine Idee. Und sollte die bedroht sein, werden sie dafür kämpfen.
Elektrosmog
Die Wächter der Stadt, wie ich sie verstehe, haben mit der Behörde einen günstigen Pachtvertrag ausgehandelt. Danach haben sich die Amtsschimmel ins Fäustchen gewiehert. Denn der Schaustellerplatz, auf dem die Wächter ihr neues Lager aufschlagen werden, ist für Wohnungen nicht zu gebrauchen. Zu stark ist der Elektrosmog, der von den Oberleitungen der benachbarten ICE-Strecke ausgeht.
Aber den Wächter der Stadt ist das egal. Soll die Stadt sich doch mit ihrem krummen Deal ihren schäbigen Ruf vergolden – die Wächter schätzen ihren neuen Lagerplatz. Denn der Elektrosmog der Bahn gibt ihren Ideen einen ganz besonderen Spin, und der macht sie unberechenbar. Unberechenbarkeit war schon immer ein strategischer Vorteil.
Die Wächter der Stadt, wie ich sie verstehe, bilden Banden.

Kaum jemand ahnt, wer alles zu ihren Verbündeten zählt.
Die Wächter der Stadt, wie ich sie verstehe, halten Nachtlager bereit. Dort beherbergen sie mal diesen, mal jenen. Und verziehen keine Miene, sollte ihr Gast beim Abendessen einmal die SIM-Karte seines Handys verspeisen, wenn plötzlich unangemeldete Ordnungskräfte auftauchen.
Die Wächter der Stadt, wie ich sie verstehe, laufen manchmal in der Dunkelheit vor einen Baum, wenn sie nachts aufs Klo gehen. Aber das stört sie nicht, denn diese Bäume sind Pioniergewächse – genau wie sie.
Gesang der Drähte
Die Wächter der Stadt, wie ich sie verstehe, nehmen ihren Winkelschleifer und schneiden große Rechtecke in die Asphaltdecke eines ehemaligen Recyclinghofes. Die entsiegelten Flächen füllen sie mit Mutterboden auf und stecken lange Bohnen- und Bambusstangen hinein, deren Spitzen sie an stabilen Drähten befestigen, die in großer Höhe quer über den alten Schrottplatz verlaufen.
Die Wächter der Stadt, wie ich sie verstehe, lassen im Frühjahr Hopfen hinauf zu den Drähten ranken. Im Sommer trinken sie Hopfentee und Bier auf der Dachterrasse einer uneinnehmbaren Festung aus verbeulten Übersee-Containern. Und im Winter lauschen sie dem Rascheln des vertrockneten Hopfens im Wind und dem Singen der Metalldrähte.
Fischgründe
Die Wächter der Stadt, wie ich sie verstehe, haben ein stählernes Herz, das nach eisenreicher Nahrung verlangt. Am liebsten festigen sie ihr Herz durch das Verspeisen von marinierten E-Rollern, die sie bei Vollmond aus einem Seitenarm der Elbe fischen. Wo aber die besten E-Roller-Fischgründe sind, das verraten die Wächter der Stadt niemandem.
Die Wächter der Stadt, wie ich sie verstehe, haben jetzt erst einmal provisorisch eine Discokugel gehisst. Wenn sie dann die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen gebracht haben, werden sie Umbaumaßnahmen einleiten. Schon bald.
