Der Turmbau zu Hamburg (stern)
Eine Stadt will hoch hinaus. Architekten wagen den ganz großen Wurf. Ein Baukonzern wittert Prestige und Profit. Dann geht alles schief. Mittlerweile verschlingt die Elbphilharmonie eine halbe Milliarde Euro. Bericht aus dem Inneren eines Irrsinnsprojekts
Hamburg-Rotherbaum, großzügige Altbauwohnung, Quadratmeterpreis in dieser Lage bis zu 8000 Euro – darum geht es in dieser Geschichte: verkaufte Stadtflächen, Preise, Lage, Lage, Lage und die Politik dahinter. Zu Hause bei den geistigen Eltern der Elbphilharmonie. Kaffeetrinken bei Jana Marko und Alexander Gérard. Die schwärmerische Kunsthistorikerin und der renditebewusste Immobilienentwickler. Elbphilharmonie: von Anfang an eine leidenschaftliche Beziehung von Kunst und Kapital. Dieses ungleiche Paar war es, das die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron 2001 zu dem spektakulären Entwurf anregte. Im Juni 2003 stellten sie das Projekt der Öffentlichkeit vor.
Alexander Gérard erinnert sich: "Zehn Tage vor der Pressekonferenz erhielten wir von Herzog & de Meuron das Modell der Elbphilharmonie. Wir waren damit zuerst beim obersten Denkmalschützer, Professor Hannemann. Der hatte Tränen in den Augen und sagte: So stelle ich mir den Umgang mit historischer Bausubstanz vor.'"
1111 Stahlbetonpfeiler im Elbschlick
Das Modell. Holz. Damit fing der Wahnsinn an. Tränen der Begeisterung. Alle wollten die Glaswoge auf dem Kaispeicher A, den Werner Kallmorgen 1966 auf 1111 Stahlbetonpfeilern in den Elbschlick gestellt hatte. Geschlossen stimmte die Hamburger Bürgerschaft für das Projekt.
Magie des Modells. Nun steht dieses Objekt der Begierde auf dem Kaffeetisch. Vielleicht vier Sachertorten groß.
Der Preis des Begehrens sind Millionen. Genauer: 500 Millionen Euro Gesamtkosten. Davon mindestens 323 Millionen für die öffentliche Hand. Bis jetzt.
Ursprünglich sollte die Elbphilharmonie 241 Millionen Euro kosten, davon 117 Millionen für den Steuerzahler. Das bedeutet einen Anstieg um mehr als 100 Prozent.
Die Stadt Hamburg und das Bauunternehmen Hochtief prozessieren gegeneinander. Baustopp seit November 2011 wegen Zank um die Dachstatik. Wann es weitergeht, weiß keiner. Ursprünglich sollte das Gebäude 2010 fertig sein. Nun übergibt Hochtief frühestens November 2014 die Schlüssel. Kostenexplosion, Terminverzögerung, Gerichtsprozesse: Der Bau der Elbphilharmonie ist ein Lehrstück über politisches Missmanagement von Großprojekten.
Und doch möchte man das Holzmodell hochheben, seinen Duft einatmen, mit den Fingern über seine Kanten gleiten.
"Wir waren emotionale Hausierer"
Das Modell ist leicht zu transportieren. Wichtig. Denn die Elbphilharmonie- Erfinder Gérard und Marko zogen damit durch die ganze Stadt. Bereiteten ihre Pressekonferenz vor. Begeisterten Entscheider und Multiplikatoren. "Wir waren emotionale Hausierer", erinnert sich Marko.
Die Elbphilharmonie war ihr erstes gemeinsames Projekt. Ich bau dir ein Schloss – wie im Märchen. Es war, als hätte der Immobilienmann der Kunsthistorikerin zeigen wollen, dass er mehr kann, als mit Bürobauten Rendite zu machen. Jana Marko ist auch ein wenig stolz, Gérard mit der gläsernen Woge in die Wunderwelt der Kunst gespült zu haben. Seitdem entwickelt er keine Gewerbeimmobilien mehr.
Vor der Elbphilharmonie hatte Gérard das Hanseatic Trade Center entwickelt, trister Büroblock, wenige Meter vom Kaispeicher A entfernt. Damals wollte die Stadt an der Stelle von Kallmorgens Zweckbau noch ein Medienhaus errichten lassen. Das hätte noch mehr Bürofläche in der Hafencity bedeutet, noch mehr Konkurrenz für Gérards Handelscenter. Dann schon lieber eine kulturelle Nutzung des Speichers. Auch dieser Gedanke dürfte die Idee vom Konzerthaus befeuert haben. Kultur würde das ganze Umfeld aufwerten und die sterile Hafencity attraktiver machen. Kultur als Immobilienveredelung. Cherry on the cake.
Schon im Dezember 2001 waren Gérard und Marko zu Jacques Herzog nach Basel gereist. Gérard und Herzog hatten zusammen in Zürich studiert. Inzwischen leitete Herzog mit Pierre de Meuron eines der bekanntesten Architekturbüros der Welt. In der Bibliothek von Herzog & de Meuron reichte Gérard seinem Studienfreund ein Foto des Speichers. Vielleicht eine Idee, wie man diesen Bau kulturell nutzen könnte? Konzerthaus am besten. Energisch zeichnete Herzog dem Backsteinquader eine Glaskrone. Die Elbphilharmonie war geboren.
Eineinhalb Jahre planten Gérard und Marko den Konzertsaal. Reisten um die Welt, sprachen mit Intendanten großer Konzerthäuser. Los Angeles, Amsterdam, Paris. Renommierobjekte voller Planungsfehler. "Da müssen Sie die Kesselpauken über Treppenfluchten wuchten", sagt Gérard.
Am 26. Juni 2003 gaben Gérard und Marko endlich ihre Pressekonferenz. Die emotionalen Hausierer hatten gute Vorarbeit geleistet: kollektive Euphorie. Die gebaute Klangwoge sollte Hamburgs neues Wahrzeichen werden. "Schlafende Schöne" hatte Altkanzler Helmut Schmidt seine Heimatstadt genannt. Hamburg wollte nicht mehr schlafen. Erst ein Jahr zuvor hatte der Hamburger CDU-Senat seinen neuen Leitspruch entwickelt: "Metropole Hamburg – Wachsende Stadt". Wirst schon sehen, Berlin.
Die öffentliche Begeisterung ließ den Senat umschwenken. Plötzlich hieß es: Konzert- statt Medienhaus für das beste Grundstück der Stadt. Die Stadt unterstellte die Projektkoordination ihrem Mann für heiße Eisen: Hartmut Wegener. Der hatte die Airbus-Werkserweiterung in Finkenwerder an der Elbe vorangetrieben, ein Kampf gegen elf Meter tiefen Schlick, Umweltschützer und widerspenstige Bauern. Wer Schlick kann, kann auch Konzert.
Strippenzieher im Hafen-Klub
Keine sechs Monate, und Wegener hatte Gérard und Marko aus ihrem Projekt gedrängt. Das macht neugierig. Wir treffen den Strippenzieher in seinem alten Revier: St. Pauli Landungsbrücken, Hafen-Klub. Fester Händedruck, blitzende Augen. Klein, kompakt. Bulldozer. Klubmitglied Wegener ist stolz, hier noch ein Separee zu bekommen. Bisschen Glanz aus der Zeit, als er hier ein und aus ging, um mit Bauunternehmern, Architekten und Politikern seine Geheimverhandlungen zu führen. 2008 entließ ihn Ole von Beust, damals der Bürgermeister.
Tee wird serviert, dann schließt sich die Tür. Wegener gerät sofort ins Schwärmen. Elbphilharmonie. Sein Bau: "Ohne mich wäre das Projekt nicht realisiert worden. Es wäre nichts als ein schönes Bild von Herzog & de Meuron, präsentiert von Herrn Gérard. Es hätte die Stadt über die Vorlaufkosten viel Geld gekostet, dann wäre es zu Ende gewesen. Die Welt hätte sich totgelacht über eine Stadt, die gerne mal in der ersten Liga spielen wollte, es aber nicht geschafft hat."
Die Welt soll nicht lachen. Hamburg, meine Perle, du sollst strahlen. Gönn dir was, Pfeffersack. Leg deiner Frau einen Pelz um und führ sie ins Konzert.
Nachdem Wegener die Philharmonie-Erfinder mit drei Millionen Euro abgefunden hatte, ließ er den Bauauftrag ausschreiben.
Und obwohl die Architekten mehrfach gewarnt hatten, ihre Pläne seien noch nicht vollendet, vergab Wegener das Projekt an Hochtief. Vertrag, Kostenkalkulation und Terminpläne stützten sich auf unfertige Entwürfe. Die Planungen wurden parallel zum beginnenden Bauprozess weitergeführt. So kam es zu fortwährenden Änderungen, die die Kosten explodieren ließen.
Wegener gibt zu, die Risiken der unfertigen Pläne unterschätzt zu haben. Zu sehr habe er auf Kooperation gesetzt. Hatte man sich nicht noch immer einigen können, sobald Beton geflossen war?
Lesen Sie die ganze Geschichte im "stern" Nr. 15/2012